Der Aufstieg und Fall des Michael Corleone – Eine Analyse

Für eine Interpretation des Familienepos Der Pate ist es unbedingt notwendig, sich Gedanken über die einzelnen Familienmitglieder zu machen: Michael Corleone ist dabei eine zentrale Figur. Die Struktur der Familie Corleone (auch der anderen Familien), das Patriarchat, die Charakterzüge der einzelnen Familienmitglieder und das Milieu, in dem sie sich bewegen, sind die Schlüssel zum Verständnis dieser Geschichte und den darin agierenden Personen.

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Die Figur des Michael Corleone wird, wie die anderen Figuren auch, in Der Pate eingeführt. Michael Corleone taucht in seiner Marineuniform und mit seiner Freundin Kay Adams auf der Hochzeit seiner Schwester Conny auf. Auffällig ist dabei, dass sich Michael und Kay allein an einen im Abseits stehenden Tisch setzen, ohne vorher auf die Familienmitglieder oder die Hochzeitsgäste zuzugehen. Michael Corleone nimmt also nicht an der Feier und damit an dem “Tanz” der Hochzeitsgesellschaft (Mafiamilieu) teil.

Im Schatten der Familie

Seine Familienmitglieder (Stiefbruder Tom Hagen und Bruder Fredo Corleone) müssen zu ihm an seinen Tisch kommen oder ihn, wie sein Vater Don Vito Corleone es tun musste, zu sich zitieren, um ihn zu sprechen. Michaels Distanz zu dem Milieu aus dem er stammt, zeigt sich auch darin, dass Kay als Außenstehende mehr Interesse an den Gästen und der Familie zeigt als er selbst. Unmissverständlich deutlich wird Michael Corleones Haltung gegenüber seiner Familie, als er zu Kate in Bezug auf die Geschichte um Johnny Fontane sagte: “So ist meine Familie Kate, so bin ich nicht!”

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Nach der Hochzeitsfeier sieht der Zuschauer Michael Corleone, der sich immerhin am Ende des Films und in den anderen beiden Teilen von Der Pate zur wichtigsten Figur entwickelt, für etwa 30 Minuten nicht. Michael taucht regelrecht ab und ist für seine Familie nicht zu erreichen. Er taucht erst wieder auf, als er aus der Zeitung(!) von dem Attentat auf seinen Vater erfährt. Sein ältester Bruder Santino (in dieser Situation Stellvertreter des Don) und sein Stiefbruder Tom Hagen (Consiglierei) halten Michael auch während einer Krisensitzung, wie es der Don immer wünscht, aus dem Familiengeschäft raus.

Michael Corleone wird jedoch in das Familiengeschäft hineingezogen, als er seinen Vater im Krankenhaus besucht und einen erneuten Anschlag auf dessen Leben verhindert. Als er erfährt, dass sich die Kontrahenten seines Vaters mit ihm treffen wollen, um die Lage zu besprechen, beschließt er, “den Türken” und seinen Begleiter (einen New Yorker Polizeioffizier) zu ermorden; was dann auch geschieht.

Exil auf Sizilien

Die Corleone-Familie schickt Michael daraufhin für eine längere Zeit (nicht genauer definiert, jedoch mindestens ein Jahr) in ein Versteck auf Sizilien. Dort versucht Michael etwas über Sizilien und den Geburtsort seines Vaters (das Dorf Corleone) zu erfahren. Auf dem Weg nach Corleone lernt er Apolonia kennen, eine junge Sizilianerin, die er auch heiratet.

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Michael und Apolonia verbringen eine kurze unbeschwerte Zeit auf Sizilien, bis Michael vom gewaltsamen Tot seines ältesten Bruders erfährt. Trotz seiner erhöhten Wachsamkeit wird Michael auf brutale Weise wieder mit dem Familiengeschäft konfrontiert. Er muss mit ansehen, wie seine Ehefrau durch eine Autobombe stirbt, die eigentlich ihm galt. Damit geht auch die Erkenntnis einher, dass der lange Arm der Familie Corleone zwar noch bis Sizilien reicht, ihm dort aber keine Sicherheit mehr garantieren kann. Der Zuschauer sieht Michael nach dieser Szene erst dann wieder, als er seine Ex-Freundin Kay aufsucht, um ihr einen Heiratsantrag zu machen und um ihr mitzuteilen, dass er schon mindestens ein Jahr für seinen Vater arbeitet.

Die Metamorphose

An dieser Stelle wirkt Michael schon sehr verändert. Er trägt gesetzte Kleidung und wirkt sehr ernst und abgeklärt. Von nun an begleitet der Zuschauer Michaels Wandlung zum kühl kalkulierenden und brutalen Machtmenschen. Der Anfangs freiheitsliebende, freundliche und am Familiengeschäft desinteressierte Michael passt sich nun immer mehr dem System der Mafia an.

Er macht sich auf fast freudianische Weise dieses System so sehr zu eigen, dass er weiter geht, als sein Vater oder die Dons der anderen Familien; er wird zum Inbegriff des Mafiabosses. Michael  Corleone versucht durch geschicktes taktieren im Verborgenen seine Familie aus ihrer defensiven Position, in die sie nach dem Krieg mit den anderen Familien gedrängt wurde, herauszumanövrieren. Er geht dabei neue Wege, die selbst dem engsten Führungskreis seiner Familie verborgen bleiben. Er traut augenscheinlich keinem Menschen, außer seinem Vater, sodass niemand wissen kann, welcher Schritt als nächstes folgt.

Man spürt an dieser Stelle ganz deutlich, wieso das Symbol der Marionettenstrippen für diesen Film gewählt wurde. Die Fäden werden gezogen, ohne dass die Beteiligten merken, wie dies geschieht; sie werden wie Marionetten bewegt.

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Durch dieses verborgene Taktieren und seine Abschottung gegenüber anderen Menschen erfährt Michael ein solches Maß an Entfremdung, dass er nicht nur von seinen Feinden, sondern auch von seinen Gefolgsleuten und seiner Familie gefürchtet und oft sogar gehasst wird (Bsp.: Conny und später Kay). Der neue Michael Corleone ist hartherzig, streng, brutal, falsch und kompromisslos. Michaels Wandlung wird in den letzten Minuten aus Der Pate auf eine besonders eindrucksvolle Weise deutlich.

Er steht Pate bei der Taufe seines Neffen und schwört stellvertretend für das zu taufende Kind dem Teufel und all seinen Werken (das Böse) ab. Parallel zur Taufe sieht man jedoch, wie Michaels Pläne von seinen Vasallen umgesetzt werden: Man sieht mehrere regelrechte Hinrichtungen seiner Feinde. An dieser Stelle wird deutlich, dass Michael sich nicht nur aus dem klassischen “Familiengeschäft” zurückziehen und nach Las Vegas ziehen will, sondern, dass er die absolute Macht im Mafiamilieu anstrebt.

Unmittelbar nach der Taufe des Kindes, die man auch als ein Symbol für Michaels Taufe zum Mafiaboss und damit als Inkarnation einer neuen Persönlichkeit sehen kann, lässt Michael Corleone konsequenterweise sogar seinen Schwager (den Vater des Kindes) wegen seiner Beteiligung am Mord an seinem Bruder Santino hinrichten.

Wandel in Der Pate II

In Der Pate II wird Michaels Dilemma deutlicher. Er versucht sich und seine Familie aus dem Mafiageschäft herauszuholen und ein Leben in der Mehrheitsgesellschaft zu ermöglichen. Seine erfochtene Macht im Mafiamilieu nutzt er dazu, um die Klans zu kontrollieren. Sie sollen ihre Geschäfte so tätigen, dass seine Familie weder mit Rivalitäten, noch mit den Strafverfolgungsbehörden oder einer negativen öffentlichen Meinung zu kämpfen hat. Er versucht die Gelder, die Strukturen und seinen Einfluss so zu nutzen, dass die Corleone-Familie in das vermeintlich saubere und legale Kasinogeschäft einsteigen kann. Ihm wird jedoch bewusst, dass er trotz seines gesellschaftlichen Aufstiegs, den sein Vater bereits für ihn vorgesehen hatte, dem Spiel um Macht und Einfluss nicht entrinnen kann.

Michael hat sich so sehr in seiner Rolle und seinem Geschäft verloren, dass er selbst seiner Ehefrau fremd geworden ist und sich diese sogar von ihm scheiden lässt. Als Kay Michael sagt, dass sie ihr drittes gemeinsames Kind abgetrieben hat und dass sie sich scheiden lassen will, spricht sie auch etwas aus, was Michaels Lage sehr gut beschreibt:

“Du kannst mir jetzt nicht mehr vergeben. Es gibt für dich keinen anderen Weg, denn du bist Sizilianer und es geht schon zu lange so, seit zweitausend Jahren…” – Kay Adams (Corleone)

Damit trifft Kay Michaels Lage auf den Punkt: Michael Corleone kann weder Kay ihre Scheidung und die Abtreibung ihres dritten Kindes, noch seinem Bruder Fredo den Verrat an der Familie verzeihen. Er muss sich dazu überwinden Kay zu verstoßen und ihr die Kinder zu entziehen und sogar seinen eigenen Bruder hinrichten zu lassen. Er kann auch seinem Milieu nicht entliehen, weil die Gesellschaft in der er lebt immer wieder Forderungen an ihren Paten stellt. Michael Corleone ist als Mensch völlig bedeutungslos. Was zählt, ist der Pate! Aus dieser fast archaischen Rolle kann er sich nicht befreien.

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Kays Worte machen Michael seine Lage so sehr bewusst, dass er zum ersten Mal die Fassung verliert und Kay in einem regelrechten Wutrausch schlägt. Durch die Scheidung von Kay werden Michaels Träume von einem normalen Familienleben zerstört, was ihn noch tiefer in seine Rolle und in das “Geschäft” treibt.

Wie am Ende des ersten Teils, muss sich Michael auch am Ende des zweiten aus einer defensiven Position befreien. Sein Versuch, die Dinge wie ein guter Amerikaner zu regeln (Gerichte und PR) scheitert. Er muss auch jetzt noch wieder zu den altbekannten Mitteln greifen: Intrigen, Mord und Berufung auf seine Position. Man muss an dieser Stelle unweigerlich an Buonasera (den Bestatter) denken, der den alten Vito Corleone am Anfang des ersten Teils um Gerechtigkeit für seine Tochter bittet.

Wie Buonasera kann sich auch Michael Corleone nicht auf die Mehrheitsgesellschaft verlassen und muss sich innerhalb seines sizilianischen Einwanderermilieus bewegen. Für Michael Corleone ist dieser Schritt genauso schwer und enttäuschend, wie für Buonasera.

Der alternde Michael Corleone

Im dritten Teil sehen wir dann schließlich einen wesentlich älteren und sanfteren Michael Corleone, der glaubt, nun endlich seine Familie aus dem Mafiamilieu hinausmanövriert zu haben. Aber auch hier muss er erneut erfahren, dass er sich nur auf ein noch komplexeres Machtspiel eingelassen hat und dass es für ihn und seine Familie keinen Ausweg aus diesem Machtgeflecht gibt.

Michael hat es zu diesem Zeitpunkt geschafft sein Geld mit legalen Geschäften zu mehren. Er hat das Mafiageschäft in den USA komplett in der Hand. Die Corleone-Familie nimmt zwar nicht mehr am Mafiageschäft teil, bedient aber alle unter ihr stehenden Familien mit Möglichkeiten ihre Gewinne zu waschen.

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In Der Pate III versucht Michael Corleone jedoch seine Familie komplett aus dem Mafiamilieu herauszuholen. Er versucht mit seinem Vermögen in eine international operierende und dem Vatikan angehörende Immobilienfirma (Immobiliare) einzusteigen. Seine “Freunde” bzw. seine Geschäftspartner wollen aber auch an diesem Geschäft teilhaben, was Don Corleone ihnen jedoch verweigert. Obwohl Don Corleone seine Partner großzügig beschenkt und ihnen das Mafiageschäft überlassen will, wird die Familie Corleone erneut in einen Krieg reingezogen.

Michael bringt es deutlich zum Ausdruck:

“Gerade als ich glaubte draußen zu sein, ziehen die mich wieder rein.” – Michael Corleone

Auch am Ende des dritten Teils gibt es für Michael keinen Ausweg aus dem Mafiamilieu! Die volle Tragik der Figur des Michael Corleone wird dem Zuschauer am Ende des dritten Pate- Teils besonders deutlich. Michael ist einsam und von Gewissenskonflikten geplagt. Er erkennt, dass all seine Arbeit und seine härte ihm und seiner Familie nicht genutzt haben. Er bleibt in seinem Milieu gefangen, ohne dabei aber ein Teil dessen zu sein. Don Corleone wird nicht wie sein Vorgänger geliebt und respektiert, sondern nur gefürchtet.

Seine emotionalen Probleme und seine Einsamkeit zeigen sich besonders an drei stellen.

  1. Bei der Beichte: “Ich habe schwer gesündigt Pater…”

  2. Am Grab von Don Tomassino: “Don Tomassino, warum habe Dich alle so sehr geliebt und mich nur gefürchtet?”

  3. In der Schlussszene: Michael sitzt auf einem Stuhl in seinem Garten und stirbt allein, während sein Vater starb, als er glücklich mit seinem Enkel spielt.

Besonders traurig ist, dass Michael am Ende eingesehen hat, dass es für ihn und seine Familie niemals einen Ausweg aus dem “Geschäft” geben wird und dass er selbst zu schwach geworden ist, um sich zu behaupten und seine Familie zu schützen. Er versucht sich diesem Machtspiel zu entziehen, indem er seinem Neffen die Leitung des Familiengeschäfts überlässt.

Ein bitteres Ende

Doch selbst als er glaubt wenigsten sich und seine Kinder aus dem Geschäft herausgeholt zu haben, muss er mit ansehen, wie sein Traum von einer vom Geschäft befreiten Familie scheitert. Wie seine sizilianische Frau Apolonia, stirbt auch Michaels Tochter vor seinen Augen bei einem Anschlag, der eigentlich ihm galt.

Diese Szene ist für mich die emotionalste aus der Pate-Trilogie. Michael schreit auf den Stufen des Opernhauses (Hinweis auf die Dramatik?) seine Verzweiflung raus und Kay erkennt in diesem Moment das Dilemma ihres Ex-Mannes. Dieser vermeintlich mächtige Mann, der die Fäden zieht, ist lediglich eine Figur in einem Spiel um Macht, dass er sich nicht ausgesucht hat und aus dem er sich nicht befreien kann.

Michael ist, wie zuvor schon sein Vater, gescheitert!

Ihm ist es nicht gelungen, sich und seiner Familie ein Leben in Freiheit und in der Mitte der Gesellschaft zu ermöglichen. Allerdings gibt es Hoffnung. Auch wenn Michael Corleone sich lange dagegen wehrt, sagt sein Sohn sich von den Wünschen des Vaters ab und widmet sich einer musikalischen Karriere.

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Die Figur des Michael Corleone zeigt, worum es bei Der Pate geht. Der Pate ist eine Familiensaga, die zeigt, wie mehrere Generationen einer Familie unter ihrem Milieu und der Macht, die hier fast wie eine metaphysische Gewalt wirkt, leiden und dabei zugrunde gehen.

Und so stirbt Michael Corleone einsam auf einem Stuhl. Die Welt, die ihm einst zu Füßen lag, hat sich von ihm abgekehrt. Den Jahren des Ruhmes folgten Jahre der Isolation und Einsamkeit. Am Ende bezahlt Michael Corleone mit dem einsamen Tod für die Verfehlungen seines Lebens.

Über den Autor

Marco

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Gründer und Autor von screenheroes. Mag gute Geschichten und entwickelt gerne für WordPress.

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